Religionswissenschaft untersucht Religion als Element menschlicher Kultur und Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart.
Video: Religionswissenschaft studieren – Ja sicher!
Die Disziplin
Die Religionswissenschaft versteht sich heute als Kultur- und Gesellschaftswissenschaft im Austausch mit anderen Disziplinen. Sie ist thematisch orientiert: Der Blick auf "Religion" leitet die Religionswissenschaft, wie z.B. "Musik" die Musikwissenschaft. Religionswissenschaft will die Eigenarten ihrer Gegenstände in deren jeweiligem historischen, sozialen und kulturellen Zusammenhang verstehen.
Die Disziplin entstand im Europa des 19. Jahrhunderts aus dem Interesse an der Religionsgeschichte und an den aussereuropäischen Religionen. Unabhängig von religiös-normativen Positionen und Bewertungen will die Religionswissenschaft religiöse Sozialformen, Praktiken und Vorstellungen sowie aktuelle Entwicklungen und ihre historischen Voraussetzungen erfassen.
Themen und Perspektive
Konzentrierte sich die Religionswissenschaft früher fast ausschliesslich auf aussereuropäische und historische Religionen, so hat sich im Zuge der religiösen Pluralisierung in Europa daneben die soziologische und gegenwartsorientierte Religionsforschung etabliert. Heute betreibt die Religionswissenschaft sowohl historische als auch gegenwartsbezogene Forschung und interessiert sich für alle Regionen der Welt.
Religionen werden dabei als wandelbare Konstrukte verstanden, die in wechselseitigem Austausch mit ihren jeweiligen Lebenskontexten hervorgebracht werden. Religionswissenschaftler und Religionswissenschaftlerinnen beschäftigen sich mit Formen und Bedeutung aktueller Spiritualität, mit der Politisierung von Religionen und ihrer Rolle in Konflikten, aber auch mit der Bedeutung des Faktors Religion im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen, Klimawandel oder der globalen Vernetzung verschiedenster Akteursgruppen.
Zum Beispiel Yoga: Religion oder Sport?
Wie kommt es, dass Yoga, das ursprünglich eine asketische Praxis hinduistischer Gelehrter mit dem Ziel der Erleuchtung war, heute als Sportart gilt und Ausgleich in den hektischen Alltag der Praktizierenden bringt?
Eine religionswissenschaftliche Betrachtung zeigt, dass das historische Yoga der Asketen, die mit Körperübungen den Geist und das Denken zu konzentrieren suchten, vom indischen Reformer Vivekananda umgedeutet wurde. Im Unabhängigkeitskampf interpretierte er um 1900 die Praxis neu als Körperertüchtigung und weniger religiös. So als Sport verstanden verband es sich mit Ideen der Lebensreform-Bewegung und wanderte im Laufe des 20. Jahrhunderts nach Europa und in die USA, wo es gut 100 Jahre später zum Breitensport wurde.
Religionswissenschaft interessiert sich wie in diesem Beispiel dafür, wie sich Religionen, religiöse Praktiken und Inhalte verändern und je nach Zeitumständen, lokalen Kontexten und bestimmten Interessen neu gedeutet und praktiziert werden. Sie zeigt, wie heute Selbstverständliches auf wichtige Neuinterpretationen zurückgeht und macht globale Zusammenhänge sichtbar.